Bevor Sie einen Pflegegrad offiziell beantragen, ist es sinnvoll, den tatsächlichen Unterstützungsbedarf möglichst genau einzuschätzen.
Mit dieser Übersicht können Sie die unterschiedlichen relevanten Bereiche einschätzen, die bei der Beantragung eines Pflegegrades berücksichtigt werden.
Kurz erklärt
- Beim Pflegegrad zählt vor allem, wie stark die Selbstständigkeit eingeschränkt ist
- Notieren Sie möglichst konkret, in welchen Bereichen regelmäßig Hilfe benötigt wird (Muster Pflegetagebuch)
Inhaltsverzeichnis
Grundlagen des Pflegegrades
Als Nächstes geht es darum, den Grad der Einschränkungen und den tatsächlichen Hilfebedarf zu klären.
Im Mittelpunkt steht nicht die Erkrankung selbst, sondern wie stark die Selbstständigkeit im Alltag beeinträchtigt ist. Es wird geschaut, wie stark jemand im Alltag auf Hilfe angewiesen ist – nicht nur körperlich, sondern auch kognitiv und psychisch.
Dabei werden verschiedene Lebensbereiche (sogenannte Module) betrachtet. Für jedes Modul werden Punkte vergeben, die dann je nach Bedeutung für das tägliche Leben unterschiedlich gewichtet werden. Aus allen gewichteten Punktwerten ergibt sich der Pflegegrad (1-5).
Die Pflegekasse beauftragt den MD (Medizinischer Dienst) oder Medicproof (bei Privatversicherten), der im Rahmen der Begutachtung für jedes Modul Punkte vergibt.
Den Pflegegrad gut und sicher einzuschätzen ist nicht einfach, aber mit dem richtigen Vorgehen kann man eine erste realistische Einschätzung vornehmen – auch als Angehöriger oder Laie.
Hierzu bietet es sich an, die sechs Module einzeln zu betrachten.
Die 6 Module zur Begutachtung
Eine Erklärung vorab: Nicht alle Einschränkungen wirken sich gleich stark auf das tägliche Leben aus. Beispielsweise ist es deutlich relevanter, ob jemand sich selbst waschen und essen kann, als ob er Unterstützung bei der Haushaltsführung braucht.
Bei der Begutachtung wird also geschaut, wie selbstständig jemand in verschiedenen Lebensbereichen ist. Jeder Bereich zählt unterschiedlich viel, je nachdem, wie stark er den Alltag beeinflusst.
Zum Beispiel: Wer sich nicht mehr selbst waschen oder anziehen kann, ist deutlich stärker eingeschränkt, als jemand, der nur beim Kochen Unterstützung benötigt. Darum zählt die Selbstversorgung mit 40 % am meisten. Alles wird in Punkte umgerechnet – je mehr Punkte, desto höher der Pflegegrad.
Zusammengefasst hat deshalb jedes Modul:
– eine maximale Punktzahl, die in die Endbewertung eingeht
– eine unterschiedliche Gewichtung (in Prozent)
Modul | Gewichtung | Max. Punkte (gewichtet) |
---|---|---|
1. Mobilität (z. B. Aufstehen, Treppensteigen) | 10 % | 15 Punkte |
2. Kognitive & kommunikative Fähigkeiten (z. B. Orientierung, Kommunikation) oder Verhaltensweisen und psychische Problemlagen | 15 % | 22,5 Punkte |
3. Selbstversorgung (z. B. Körperpflege, Essen) | 40 % | 60 Punkte |
4. Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapie- bedingten Anforderungen (z. B. Medikamente, Arztbesuche) | 20 % | 30 Punkte |
5. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte | 15 % | 22,5 Punkte |
6. Außerhäusliche Aktivitäten & Haushaltsführung (Nur zur Dokumentation, wird nicht gewertet) | 0 % | – |
Folgende Beispielfragen erklären die unterschiedlichen Modulbereiche:
Mobilität
Wie ist die Beweglichkeit beim Aufstehen, Gehen, Treppensteigen?
Kognitive (geistige) und kommunikative Fähigkeiten
Sind Gedächtnislücken vorhanden? Wie ist die zeitliche bzw. die örtliche Orientierung
sowie Urteilsfähigkeit? Werden Sachverhalte und Aufforderungen verstanden?
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
Ist nächtliche Unruhe zu beobachten, z.B. Umherirren (Toilettengänge zählen nicht dazu), Abwehrverhalten, nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen, Aggressionen, nicht nachvollziehbare Verhaltensweisen oder starke Ängste/ Halluzinationen?
Selbstversorgung
Besteht Unterstützungsbedarf bei der Körperpflege, beim Toilettengang oder beim Essen und Trinken?
Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
Hiermit sind Hilfestellungen bei der Medikamenteneinnahme oder bei Injektionen gemeint (z.B. Messen von Blutzucker und Insulin spritzen). Müssen über einen längeren Zeitraum (mindestens sechs Monate) Verbände angelegt oder Kompressionsstrümpfe angezogen werden? Sind regelmäßige Begleitungen bei Arztbesuchen notwendig?
Gestaltung des Alltagslebens und der sozialen Kontakte
Braucht es Unterstützung beim Gestalten des Tagesablaufes, Planen von Arztbesuchen und anderen Terminen? Sind Hilfestellungen beim Telefonieren oder der Kontaktaufnahme zu anderen Menschen notwendig?
Das Punktesystem
Die Gesamtpunktzahl der Punkte entscheidet über den Pflegegrad:
Punktzahl | Entsprechender Pflegegrad |
---|---|
unter 12,5 | kein Pflegegrad |
12,5 – unter 27 | Pflegegrad 1 |
27 – unter 47,5 | Pflegegrad 2 |
47,5 – unter 70 | Pflegegrad 3 |
70 – unter 90 | Pflegegrad 4 |
90 – 100 | Pflegegrad 5 |
Wann Sie einen Antrag stellen sollten
Wenn Sie unter den beispielhaft aufgezählten Kriterien Punkte finden, bei denen Ihre Angehörige oder Ihr Angehöriger regelmäßig und voraussichtlich über einen längeren Zeitraum (mindestens sechs Monate) Hilfestellungen benötigt, sollten Sie einen Pflegeantrag bei der zuständigen Pflegekasse stellen.
Hilfsmittel, um selbst eine erste Einschätzung vorzunehmen
Online Pflegegrad-Rechner
Es gibt Pflegegrad-Rechner von seriösen Anbietern (z. B. von Krankenkassen oder Verbraucherzentralen), die durch die Module führen und eine Einschätzung abgeben
Selbsteinschätzungsbogen
Es lohnt sich, für eine Woche ein Pflegetagebuch zu führen, um folgende Fragen sicher beantworten zu können, wenn die Begutachtung stattfindet.
- Was wird wie oft am Tag gemacht?
- Wie viel Hilfe wird konkret benötigt?
- Wie lange dauert die Hilfe?
Auch hier gibt es Vorlagen z.B. bei den Krankenkassen.
Pflegedienst oder Pflegeberater fragen
Professionelle Pflegeberater (§7a SGB XI) oder Pflegedienste können bei der Einschätzung helfen – oft kostenlos. Informieren Sie sich hier zum Thema Pflegeberatung.
Pflegebedarf nach Krankenhausaufenthalt
Wenn Ihre Angehörige oder Ihr Angehöriger in einem Krankenhaus oder in einer Rehabilitationsklinik liegt, nehmen Sie Kontakt zu dem Kliniksozialdienst auf. Fragen Sie außerdem auch beim Pflegepersonal oder den behandelnden Ärztinnen und Ärzten nach dem notwendigen Pflegebedarf und ob eine nächtliche Hilfestellung z. B. bei Toilettengängen notwendig ist.
Abschließender Hinweis
Wichtig für eine gute und sichere Einschätzung ist grundsätzlich,
- Beschreiben Sie den tatsächlichen Hilfebedarf möglichst ehrlich und realistisch – auch wenn es unangenehm ist
- Auch psychische Belastungen und kognitive Einschränkungen (wie nächtliche Unruhe, Vergesslichkeit, Verhaltensauffälligkeiten) zählen stark
- Denken Sie daran, den Bedarf an Hilfsmitteln (z.B. Rollator, Inkontinenzmaterial) mit anzugeben